Wer Chile und seine Hauptstadt neu kennenlernt, staunt oft: Santiago ist ständig in Bewegung und dabei ganz schön gestresst. Hier wird mindestens 45 Wochenstunden gearbeitet, bei 15 Tagen Jahresurlaub. Wer es sich leisten kann, lebt in Hochhaustürmen mit Pförtner und Pool, aber aus Kostengründen in Wohnungen, die kaum größer scheinen als eine Streichholzschachtel. In der Tiefgarage reihen sich wuchtige Pick-up-Trucks mit Vollradantrieb aneinander, glänzend geputzt für die nächste Ausfahrt. Zum Familienurlaub geht es ins kalifornische Disneyland, zur Not finanziert mit einem Bankkredit.
Yáñez Aussage ist interessant, weil er ein Konservativer ist. Der Mann mit silbergrauem Haar im weinroten Wollpullover ist ausgebildeter Philosoph. Promoviert hat er über die soziale Marktwirtschaft, über linke Verteilungsideen schüttelt er nur den Kopf. Yáñez sagt trotzdem: "Wir brauchen Veränderungen an unserem System."
Pinochet ist lange tot, aber seine Chicago Boys leben weiter. Die Chicago Boys waren in den USA ausgebildete chilenische Ökonomen, die in den 80er Jahren die Militärdiktatur berieten. Ihr erklärtes Ziel: Schluss zu machen mit den Umverteilungsideen der sozialistischen Vorgängerregierung unter Salvador Allende. Der Markt sollte wieder wachsen.
So zog der Neoliberalismus angelehnt an die marktradikalen Lehren des Ökonomen Milton Friedman in Chile ein. Die Chicago Boys schrumpften den Staat zusammen, privatisierten von der Autobahn bis zu Krankenhäusern, Gefängnissen und Grundschulen sowie den ertragreichen Kupferminen alles, was an solvente Geldgeber abzugeben war.